H1-Linie von Wasserstoff

24.08.2018

Entstehung der H1-Linie

Der größte Anteil interstellarer Materie besteht aus atomarem neutralen Wasserstoff. Das (einzige) Elektron dieses Atoms besitzt ebenso wie das Proton im Kern einen Spin. Diese beiden Spins können parallel oder anti-parallel ausgerichtet sein. Zwischen diesen beiden Zuständen besteht ein geringfügiger Energieunterschied: sind die Spins parallel, ist die Energie des Atoms geringfügig höher als im anderen Fall. Übergänge zwischen diesen beiden Energiezuständen bewirken eine Hyperfeinstruktur der Spektralübergänge, die zum Beispiel für die Entstehung der charakteristischen (optischen) Linienspektren verantwortlich sind, in dem sie diese in erhebliche kleinere Unterstrukturen aufspalten, die energetisch um 3 Zehnerpotenzen kleiner sein können.
Der Wechsel zwischen diesen beiden Energiezuständen erfolgt durch unelastische Stöße oder durch Emission oder Absorption eines Photons. Der hierfür benötigte Energiebetrag beträgt 5,9 µeV, dies entspricht einer elektromagnetischen Welle mit einer Wellenlänge von 0,21 m bzw. einer Frequenz von 1420,405 MHz.
Obwohl die Wahrscheinlichkeit eines solchen Übergangs sehr gering ist (die mittlere Lebensdauer des angeregten Zustandes beträgt ca. 11 Millionen Jahre), ensteht durch die sehr große Anzahl solcher Wasserstoffatome in der Galaxis eine deutlich messbare Strahlung. Das sorgt aber auch dafür, dass auch ausgedehnte Wasserstoffansammlungen hinreichend transparent sind, sodass sie einen Blick in die Tiefen des Alls nicht verhindern.

Dynamik einer Galaxie

Große Masseansammlungen wie z.B. die Milchstraße, unsere Heimatgalaxis, bestehen aus über 100 Milliarden Sternen. Sie rotieren um ein gemeinsames Massezentrum, wobei sich Dichteunterschiede ergeben, die zur Ausbildung von Spiralarmen führen können. An dieser Rotation nehmen auch die interstallaren Gaswolken teil, wobei die Rotationsgeschwindigkeit je nach Position unterschiedlich groß sein kann (orange Pfeile im Bild unten rechts). Eine Analyse von Geschwindigkeit und Dichte des Wasserstoffs erlaubt Rückschlüsse auf die Struktur unserer Galaxis.

Doppler-Effekt

Beobachtet man solche Gaswolken, gibt es ja nach Blickrichtung Bereiche, in denen sie sich auf den Beobachter zu oder von ihm weg bewegen (rote Pfeile im Bild rechts). Analog zu Schallwellen (z.B. die Sirene eines Krankenwagens), bei denen die Tonhöhe bei einer Annäherung höher ist als bei zunehmender Entfernung, ändert sich für einen Beobachter auch die Frequenz von elektromagnetischen Wellen, wenn sich die Quelle in Bezug auf seinen Standort bewegt.
Erfolgt die Bewegung auf den Beobachter zu, erhöht sich die Frequenz und die Wellenlänge wird geringer. Erfolgt die Bewegung vom Beobachter weg, erniedrigt sich die Frequenz und die Wellenlänge nimmt zu. Dieser bereits in der klassischen Physik bekannte Effekt wird als Doppler-Effekt bezeichnet.
Kennt man die ursprüngliche Frequenz f, mit der die Welle erzeugt wurde, kann man aus der sogenannten Doppler-Verschiebung df (das ist die Abweichung der beobachteten von der erzeugten Frequenz) die Relativ-Geschwindigkeit v berechnen, mit der sich die Quelle in Bezug auf den Beobachter bewegt. Es gilt: v = c · df / f, wobei c die Lichtgeschwindigkeit ist, mit der sich elektromagnetische Wellen ausbreiten.
Nach der modernen Physik ändert sich bei einer bewegten Quelle auch die Zeit (sog. Zeitdilatation), die dazu führt, dass die von einer bewegten Quelle abgestrahlte Frequenz grundsätzlich geringer ist als bei einer ruhenden Quelle (Rotverschiebung). Dieser Effekt ist jedoch bei kleinen Geschwindigkeiten erheblich kleiner als der Dopplereffekt und kann deshalb in der Regel vernachlässigt werden. Allerdings sorgt allein schon die Expansion des Universums für eine solche Rotverschiebung, die umso größer ist, je weiter eine Quelle entfernt ist. Da sie alle Emissionsspektren (also auch im optischen Bereich) betrifft, dient diese häufig zur Bestimmung der Entfernung von Objekten.

Bedeutung für die Radioastronomie

Die Frequenz der H1-Linie wird von der Atmosphäre der Erde nahezu ungehindert durchgelassen, sodass sie von erdgebundenen Observatorien beobachtet werden kann. Analog zu einem optischen Fernrohr erfassen Radioteleskope mit einem Parabolspiegel einen kleinen Himmelsausschnitt, können aber nicht unterscheiden, ob das Signal aus einer näheren oder weiter entfernten Quelle stammt.
Durch den Doppler-Effekt verschiebt sich bei einer Geschwindigkeit von 1 km/s die Frequenz um ca. 4,74 kHz. Da z.B. bei unserer Milchstraße bereits Verschiebungen von bis zu +/- 500 kHz (entsprechend ca. +/- 110 km/s) auftreten, erlauben die heutige Stabilität von Referenzoszillatoren (z.B. in Atomuhren) und rauscharme Verstärker im Frequenzbereich der H1-Linie aus der gemessenen Frequenzabweichung eine sehr genaue Bestimmung der Relativgeschwindigkeit der Quelle.

Bei der Beurteilung von Messungen spielt die Charakteristik der verwendeten Empfänger eine große Rolle. Die H1-Linie selbst weist eine extrem geringe Unschärfe auf. Jede Frequenzanalyse ist aber mit einer gewissen Bandbreite behaftet, die zu einer Linienverbreiterung führt (linke Abbildung). Die grüne Linie zeigt die Peak-Form für einen schmalbandigen Empfänger mit z.B. 1 kHz Bandbreite, die rote Linie für einen etwas breitbandigeren Empfänger mit z.B. 5 kHz Bandbreite.
Nähert sich die Wasserstoffwolke dem Beobachter, verschiebt sich der Peak hin zu größeren Frequenzen, seine prinzipielle Form bleibt aber erhalten (zweite Abbildung von links).
Enthält die im Mittel ruhende Wasserstoffwolke z.B. durch Turbulenzen unterschiedliche Geschwindigkeiten, verbreitern sich die Peaks entsprechend (dritte Abbildung von links).
Im Regellfall wird man jedoch Emissionen von mehreren Wasserstoffansammlungen messen, die sich in der Sichtachse des Teleskops befinden. Dies führt zum Auftreten mehrerer Extrema, die jedoch umso ausgeprägter sind, desto kleiner die  Empfängerbandbreite ist (rechte Abbildung).

Bereits aber auch schon ohne eine Messung des Doppler-Effektes liefern entsprechende Himmelsdurchmusterungen im Bereich der H1-Linie wichtige Informationen über die Verteilung des Wasserstoffs. Da die Strahlung auch Staubwolken durchdringen kann, die im optischen Bereich undurchsichtig sind, erhält man so auch Erkenntnisse über ansonsten verdeckte Abschnitte unserer Galaxis.
Die Abbildung rechts zeigt z.B. die Häufigkeit von Wasserstoffemissionen unserer Milchstraße mit einer horizontalen Ausdehnung über einen Bereich von 110° in einer Höhe von 44° über dem Horizont (Aufnahme vom 29.04.2018, 14:03 Uhr). Die bei einer Intensität von 2 Skt liegende Grundlinie entsteht durch das unvermeidliche Empfängerrauschen, das auch die Nachweisgrenze begrenzt.